Berlin 4. März 2023 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Medizin ist ein Geschäft im Umfang eines guten Zehntels unseres Bruttosozialproduktes. Ein erheblicher Teil davon entfällt auf den Markt der stationären Versorgung im Krankenhaus, wo seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Gewinnentnahmen gestattet wurden und eine Privatisierungswelle ihren Lauf nahm. Seither ist der Anteil der Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft auf ein Viertel der Institutionen geschrumpft. Doch selbst unter diesen wurden unter dem Wettbewerbsdruck mit seinem Zwang zu immer stromlinienförmigerem und schnellerem Markthandeln ein Großteil (2017: 59%, (1) ) der Häuser in privatrechtliche Organisationformen wie z.B. Gesellschaften mit beschränkter Haftung überführt (2).
Statt der früher bestehenden Selbstkostenerstattung für die Krankenhäuser wurden mit dem Ziel marktwirtschaftlicher Effizienz neue Finanzierungssysteme eingeführt. Da Durchschnittskosten anhand einer zugeordneten Diagnoseziffer bezahlt werden, sind Gewinnsteigerungen möglich durch
Nach mittlerweile weit verbreitetem Urteil wurden mit dem Finanzierungssystem der DRGs im Gegensatz zu den angestrebten Effizienzverbesserungen in der Gesundheitsversorgung erhebliche Fehlanreize gesetzt. Doch die DRGs sind nur ein Aspekt einer Fehlsteuerung, die das Erbringen medizinischer Transaktionen zu einem Geschäft gemacht hat.
Vor dem Hintergrund von Unterfinanzierung und einem brutalen Verdrängungswettbewerb sind kaufmännisches Handeln und die Ausrichtung auf die Profitmaximierung bzw. Verlustminimierung für alle Krankenhäuser unabhängig von Ihrer Trägerschaft überlebensnotwendig geworden. Institutioneller Selbsterhalt gerät in Konflikt mit einer patient:innenorientierten fürsorglichen medizinischen Versorgung (3). Berufsethos und Professionalismus von Pflegenden und Ärzt:innen weichen einer Managerialisierung der Krankenhausmedizin, in der auch das Gesundheitspersonal kaufmännisch ausgerichtet bzw. untergeordnet wird. Der gesellschaftliche Anspruch tritt in den Hintergrund. Selbst innerhalb des Krankenhauses werden Abteilungen gegeneinander in Marktkonkurrenz um die notwendigen Ressourcen gesetzt. Ein Überangebot ertragreicher Fächer wie der Endoprothetik und Urologie steht neben einer Mangelversorgung in unprofitablen Bereichen wie der Kinder- und Jugendmedizin und der Geburtshilfe. Nachhaltigkeit ist diesem System fremd.
Die Form privatrechtlicher Kapitalgesellschaften kommt dem entgegen. So lässt z.B. das GmbH-Gesetz keine Alternative zu einem „ordentlich kaufmännischen“ Verhalten in der Krankenhausführung. Das wirtschaftliche Wohlergehen des Unternehmens wird zum Leitgedanken, der alles durchdringt, die Versorgung der Bevölkerung zum Geschäftsmodell. Das GmbH-Gesetz setzt auch einer politischen Steuerung selbst bei Häusern in öffentlichem Eigentum enge Grenzen. Öffentliche Kritik und Diskussion werden durch die Geheimhaltungsvorschriften des GmbH-Gesetzes verboten.
Dem stellen wir zunächst die Frage nach den gesellschaftlichen Aufgaben der Krankenhausmedizin entgegen. Sie soll nicht der Erschließung von Geschäftsmöglichkeiten dienen, sondern der Gesundheitsfürsorge in einem ganzheitlichen und auf Kooperation statt Konkurrenz ausgelegten, ressourcenschonenden Gesundheitssystem. Stationäre Therapie soll dann erfolgen, wenn keine sinnvolleren Alternativen bestehen. Das Krankenhaus soll innerhalb des Gesamtsystems koordinierende und beratende Funktionen erfüllen. Es darf ein Ort sein, wo man auch hingeht, ohne krank zu sein – um beispielsweise an präventiven und edukativen Programmen teilzunehmen. Das Krankenhaus soll der Profitkonkurrenz in und zwischen den Sektoren entgegenwirken und integrierende Funktion wahrnehmen.
Das nachhaltige Wohlbefinden der Bevölkerung ist der Maßstab. Dies setzt eine kleinteiligere und genauere Bedarfsplanung voraus. Deren Datenbasis muss erst erarbeitet werden, da in den gegenwärtigen Planungssystemen wichtige Aspekte nicht erhoben werden beziehungsweise unberücksichtigt bleiben. Auch hier kommt dem Krankenhaus Bedeutung zu: Gerade in seiner Funktion als Zuflucht der letzten Möglichkeit in vielen gesundheitlichen, aber auch sozialen Notlagen kann es wertvolle Hinweise auf andernorts ungedeckte Versorgungsbedarfe liefern. Öffentlicher Gesundheitsdienst, Kommunalpolitik, Verbände und Betroffene sollen hier eingebunden werden. In dieser Hinsicht kann auch eine Analyse des Gesundheitswesens der Deutschen Demokratischen Republik mit seiner Ausrichtung auf Effizienz des Gesamtsystems an Stelle der Profitmaximierung konkurrierender Einzelakteure wertvolle Hinweise liefern.
Krankenhäuser arbeiten unter ökonomischen Rahmenbedingungen, die durch Gesetzgebung des Bundes festgelegt sind. Die Ausgestaltung des Krankenhauswesens unterliegt aber der Landesgesetzgebung. In Berlin befindet sich mit den Klinika der Charité und den städtischen Krankenhäusern innerhalb des Vivantes-Konzerns die überwiegende Zahl der Krankenhausbetten in öffentlicher Hand wie auch ein Großteil der ambulanten Notfallbehandlungen im Krankenhaus. Auch auf Grund dieser Masse bestehen hier Gestaltungs- und Definitionsspielräume, die es andernorts nicht gibt. Mit dem Ziel einer besseren Gesundheitsversorgung der Bevölkerung kann hier eine Neugestaltung des Krankenhaussektors mit einer Neubeschreibung seiner Aufgaben erfolgen, die sich auch finanzpolitisch darstellen lässt.
Anstelle privatwirtschaftlicher Unternehmensstrukturen mit ihrer eindimensionalen Wirtschaftslogik, benötigen wir für diese Krankenhäuser Organisationsformen, die dem Zweck einer qualitativ hochwertigen auf Kooperation, Wissenschaftlichkeit, Inklusion, Prävention und Ganzheitlichkeit basierenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung entsprechen.
Die Sorge für die Gesundheit ist so vielfältig, wie das Leben selbst. Kein Mensch und kein:e Patient:in ist wie der:die andere. Gerade in der Medizin, wo Lebenshaltungen, Biographie und sozialer und familiärer Hintergrund ebenso wie jede biologische Besonderheit in individuelle Betreuungskonzepte eingehen müssen, ist mit allgemeinen Vorschriften noch nicht viel erreicht. Wo das alles durchdringende kaufmännische Profitstreben hierarchisch erzwungen wird und den Kompass bei jeder Entscheidung bestimmt, kann mit externen allgemeinen Qualitätsvorgaben der fragmentierende und zerstörerische Einfluss der Profitorientierung nicht aufgehoben werden. Wir brauchen also eine Organisationsform, die den Professionalismus und Ethos von Pflege und ärztlichem Dienst nutzbar macht. Die der Autonomie der Patient:innen durch deren Einbeziehung gerecht wird und in der auch administrative Prozesse mit der gleichen ergebnisorientierten Strenge überprüft werden, wie pflegerische und ärztliche.
Die Rechtsform der GmbH, überhaupt die einer Kapitalgesellschaft privaten Rechts, bietet hierfür nicht den passenden Rahmen. Auch die private Rechtsform von Genossenschaften mit ihren auf die Mitglieder begrenzten Mitsprache ist aus unserer Sicht für die Aufgaben großer Krankenhäuser nicht geeignet. An historischen Beispielen findet sich in Deutschland nur dasjenige des Genossenschaftskrankenhauses Heckeshorn, eines Kleinkrankenhauses, das mittlerweile privatisiert und zum Alibikrankenhaus eines MVZ-Konzerns wurde (4).
Unter den Gesellschaften öffentlichen Rechts bietet sich die einer Anstalt öffentlichen Rechts an, deren organisatorische Ausgestaltung offen ist und mit dem Gründungsgesetz festgelegt wird. Sie wird bereits formal der gesellschaftlichen Bedeutung öffentlicher Krankenhäuser gerecht. In diesem Rahmen könnte eine Organisationsstruktur geschaffen werden, die sowohl die Fehlanreize der externen fortbestehenden Marktsteuerung neutralisiert, eine expert:innengesteuerte und gesellschaftlich verantwortliche Steuerung ermöglicht, aber dynamisch genug für die Bedürfnisse einer evidenzbasierten, im Fluss befindlichen Medizin ist und bürokratische Erstarrung vermeidet. Das ausgearbeitete Projekt des nicht umgesetzten klassenlosen Krankenhauses in Hanau (5) mag als Vorbild gelten, ist aber für die Aufgabe, die Krankenhausversorgung eines Stadtstaates zu koordinieren, vermutlich nicht differenziert genug.
Fragen zur Organisations- und Entscheidungsstruktur im demokratischen Krankenhaus betreffen zunächst die der erforderlichen Repräsentanz. Wie sollen Patient:innen und Stadtgesellschaft an den Entscheidungen beteiligt werden und auf welche Entscheidungen soll sich deren Beteiligung erstrecken? Es werden gestaffelte Entscheidungsinstanzen für kurz- und langfristige, medizinische und nicht-medizinische, operative und strategische Fragen notwendig sein. Die Entscheidungsstrukturen sollen nach Innen und Außen Kooperation statt Gegeneinander fördern. Feedbackschleifen zur Korrektur von Fehlern, zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen aus der Arbeitsebene und zur Projektentwicklung müssen eingerichtet werden. Transparenz und Verantwortlichkeit sollen an Stelle von Geschäftsgeheimnissen treten, die notwendige Kritik unterbinden (6, 7) und gesellschaftliche Kontrolle verhindern.
Transparenz und Professionalismus sollen auch die Qualitätssicherung im Demokratischen Krankenhaus bestimmen. Die gegenwärtigen externen Vorgaben zur Qualitätssicherung durch einzuhaltende Zielparameter werden in ums Überleben ringenden profitgesteuerten Krankenhäusern als feindselig und geschäftsschädigend erlebt. Statt guter Medizin wird Patientenselektion zum Instrument der Ergebnisschönung. Es hat sich eine Kultur der Verschwiegenheit und Abschottung nach Außen entwickelt, in dem die überbordenden Dokumentationspflichten im Modus des „Als-ob“ erfüllt werden (3), aber nicht wirklich steuernd wirken. Tatsächlich ist die Medizin als lernendes System von jeher auf Mechanismen der Selbstverbesserung angewiesen und hat diese auch entwickelt. Sie basieren auf sanktionsfreier wissenschaftlicher Diskursivität und (Fach-)Öffentlichkeit.
Angesichts der Fehlsteuerungen durch Marktkonkurrenz und Abrechnungssystem ist ein Gegengewicht notwendig. Das Demokratische Krankenhaus soll patientenorientierte Entscheidungsprozesse in einem entsprechend gestalteten institutionellen Rahmen von diesen Fehlsteuerungen isolieren (7). Die Leistung im Sinn einer gemeinwohlorientierten Gesundheitsfürsorge – nicht im Sinn der anbieterseitigen Ertragsmaximierung - soll in den Mittelpunkt gestellt werden. Auch im Hinblick auf einen nachhaltigen Umgang mit den gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen sind neue Systeme der Leistungsbewertung notwendig. Effizienz kann nur in Bezug auf ein Ziel bestimmt werden.
Die Frage nach einer institutionell-organisatorischen Neuordnung gemeinwohlorientierter Krankenhäuser hat mittlerweile den main-stream erreicht. Das demokratische Krankenhaus wird Interesse zunächst bei den Vielen finden, die mit dem gegenwärtigen Stand der Kommerzialisierung des Krankenhausalltages unzufrieden sind (8, 9). Ärzt:innen und Pflegende, ebenso wie andere Berufsgruppen im Krankenhaus und mündige Patient:innen und deren Angehörige. Wir sind überzeugt, dass auch die Stadtgesellschaft insgesamt vom größeren Nutzen einer solchen Institution überzeugt werden kann. Natürliche Verbündete sind diejenigen, die sich auch in anderen Bereichen der Gesellschaft für Gemeinwohlorientierte Institutionen der Daseinsfürsorge stark machen. Entgegen stehen die Interessen derjenigen, die vom gegenwärtigen Zustand der Krankenhäuser profitieren: Investor:innen, Manager:innen, Berater:innen und Geschäftemacher:innen.